Landesregierung kündigt Novelle des Verfassungsschutzgesetzes an
– Hannover, 02.09.2020 –
Die niedersächsische Landesregierung kündigt auf der Homepage der Staatskanzlei an, das niedersächsische Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) zu novellieren.
Laut der Pressemitteilung soll künftig
- der Einsatz von Geheimdienstspitzeln grundsätzlich überall möglich sein
- die Datenweitergabe an “Präventions- und Ausstiegseinrichtungen” erlaubt werden
- der Auskunftsanspruch von Betroffenen nur noch unter engen Vobehalten möglich sein
- bereits bei 14-Jährigen die Speicherung von Daten erlaubt werden
- dem Landesgeheimdienst die Abfrage von “Kontostammdaten” erlaubt werden
Eine detaillierte Kritik können wir erst vorlegen, wenn der Öffentlichkeit ein konkreter Gesetzesentwurf mit konkretem Wortlaut vorliegt, aber bereits die Ankündigung lässt Schlimmes befürchten.
Sie ergeht sich in wortreichen Huldigungen von “Transparenz” und “Stärkung”. Gleichzeitig soll der konkrete Gesetzesentwurf der Öffentlichkeit aber noch nicht zugemutet werden.
Vollkommen überraschend kommt der Vorstoß für informierte Beobachterinnen nicht – war eine Novellierung doch bereits im Koalitionsvertrag von CDU und SPD von 2017 verabredet worden. Dort war bereits sehr klar von einer “Neuregelung der Speicherung der Daten Minderjähriger” die Rede sowie von der Streichung von Anforderungen bei sog. “Vertrauenspersonen” (S. 37).
Auch die Gewichtung der Änderungen – weniger Rechte für Betroffene, mehr Befugnisse für den Geheimdienst – liegt ganz auf der Regierungslinie dieser Landesregierung, welche sich ja u.a. im neuen Polizeigesetz gezeigt hatte.
All dies ist also, wenn auch ärgerlich, so doch (in Grenzen) zu befürchten gewesen.
Verkehrung des Transparenzgedankens
Erstaunlich ist allerdings die farbige, teils beschönigende, teils sogar realitätsverkehrende Wortwahl der Pressemitteilung. Da steht etwa zu lesen, dass es Ziel der Landesregierung sei,
die Auskunftsrechte der Bürgerinnen und Bürger […] und die Transparenz zu stärken.
Tatsächlich wurden die Auskunftsrechte (außer für Betroffene) bislang überhaupt nicht landesrechtlich geregelt. Sie werden nunmehr aber wohl von einer Selbstbezichtigung abhängig gemacht: Auskunft kann nur verlangen, wer einen Grund dafür angibt, warum beim Geheimdienst Daten über ihn oder sie gespeichert sein sollten. Diese Regelung war bereits im Bund heftig umstritten.
Was die Landesregierung also “Stärkung der Auskunftsrechte” und “Transparenz” nennt, scheint eher der Abwehr lästiger Auskunftsansprüche zu dienen – Kontrolle statt Transparenz.
Bankdaten zur Verfolgung von Kleinkriminellen?
Gestärkt werden die Auskunftsrechte dann doch, allerdings nur die des Geheimdienstes: mit dem Zugriff auf die Kontostammdaten aller Menschen in Niedersachsen werden neue Befugnisse eingeführt, deren Wirksamkeit schon auf Bundesebene jeder Nachweis versagt geblieben ist. Wie bei den Polizeigesetzen kann hier mit einer Begründungserzählung aus dem Reich des Terrorismus gerechnet werden, die dann in der Praxis aber womöglich bald im Feld der Kleinkriminalität landet.
Kinder als Monster
Geradezu zynisch erscheint die Ankündigung der Speicherung “von Daten minderjähriger Extremisten ab dem 14. Lebensjahr”. Die Dämonisierung als “Extremisten” dient der rhetorischen Umwandlung von Kindern in kriminelle Monster. Sie werden ihres natürlichen Schutzanspruches rhetorisch beraubt. Ein schäbiges Spiel mit Worten, um ausufernde Kontrollbefugnisse zu legitimieren. Vierzehnjährige, die gewalttätig werden, brauchen Hilfe und keine Repression. Und diese Repression beginnt hier schon mit der Sprache.
Wer kontrolliert die Geheimdienste?
Der angekündigte vereinfachte Einsatz von Geheimdienstspitzeln kann nach den ganzen Skandalen des behördlichen Spitzelwesens der letzten Jahre – vom gescheiterten Verbot der NPD bis zum NSU und “unfreiwilligen Transparenzoffensiven” im niedersächsischen Geheimdienst – nur erstaunen. Statt einer Ausweitung, wäre eine rigorose Kontrolle und Begrenzung dieses höchst umstrittenen Instruments nötig. Wer hier, wie die Staatskanzlei, von “effektivsten” und alternativlosen, unverzichtbaren nachrichtendienstlichen Mitteln spricht, wischt die ganz frische und skandalöse Chronik des Intruments einfach fort, um sie in ihr Gegenteil zu verkehren.
Es fragt sich daher letztlich, wie im Entwurf konkret die Kontrolle all dieser neuen Geheimdienst-Befugnisse sichergestellt werden soll, wieviel das Parlament, die Landesbeauftragte für den Datenschutz (und nicht für Informationsfreiheit) sowie ggf. die G10-Kommission noch steuern und ggf. gegenlenken kann. Die wirksame Kontrolle der Geheimkontrolleure wäre ein unverzichtbarer Hebel der Demokratie. Der Ton der Presseerklärung lässt hier nichts Gutes erwarten.
Am Entwurfstext wird sich messen lassen, ob das Gerede von der Transparenz nur die ausgeforschten Bürger.innen oder auch den Geheimdienst selbst betrifft. Ein Geheimdienst, der nicht mehr demokratisch kontrolliert wird gehört nicht mehr in ein demokratisches Gemeinwesen.
Wann kommt die Evaluierung der Dokumentationspflichten?
Einen anderen Teil der Koalitionsvereinbarungen hat man übrigens bislang geflissentlich ignoriert. Da steht zu lesen:
Wir evaluieren die Dokumentationspflichten im Verfassungsschutz im Jahr 2020
– Koalitionsvertrag CDU-SPD 2017-2022, S. 37
Auf diese Evaluierung warten wir ebenso, wie auf die Umsetzung der JI-Richtlinie oder die Veröffentlichung des Gesetzesentwurfs. Oder fallen Gesetzentwürfe in Niedersachsen jetzt auch schon unter die Geheimhaltungspflicht?
Wir danken David Janzen für den Hinweis auf die Pressemitteilung.