"Weitgehend kontrollfreier Rechtsrahmen"

Ein Beitrag von ulif

– Hannover, 08.09.2020, UPDATE v. 9.9.2020 –

Die niedersächsische Landesregierung hatte vor wenigen Tagen in einer Pressemitteilung angekündigt, das niedersächsische Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) zu novellieren (wir berichteten). Die Staatskanzlei sprach von “Transparenz” und Stärkung der Bürgerrechte. Die Meldung war betitelt: Für Freiheit und Sicherheit. Frei von Grundrechten muss man wohl sagen. Der eigentliche Entwurf wird der interessierten Öffentlichkeit weiter vorenthalten.

Wird die G10-Kommission ausgebootet?

Im gerade herausgekommenen 25. Tätigkeitsbericht der niedersächsischen Landesbeauftragten für den Datenschutz Thiel finden sich aber nun interessante und substantielle Hinweise auf die datenschutzrechtliche Ausgestaltung des geplanten Gesetzes. So spricht sie zwar von “Konstruktiver Zusammenarbeit mit dem Innenministerium”, äußert dann aber auch harsche Kritik am Gesetzentwurf, insbesondere in der Ursprungsfassung:

“Der erste Entwurf wäre damit geeignet gewesen, einen weitgehend kontrollfreien Rechtsrahmen für den Verfassungsschutz zu schaffen.”

stellt sie fest und führt weiter aus, welche Planungen das Innenministerium ursprünglich im Sinn hatte: “So soll der Zustimmungsvorbehalt der G10-Kommission zum Einsatz von Vertrauenspersonen, sogenannten V-Leuten, entfallen”. Hierbei wird leider nicht deutlich, ob diese Änderung immer noch im Entwurf steht.

Kritik an Geheimdienst-Datenerhebung bei 14-Jährigen

Deutlich kritisiert Thiel auch die Erhebung personenbezogener Daten bei Minderjährigen und hält “weiterhin an der Kritik fest, die Erhebung durch Verschieben der Altersgrenzen für Minderjährige (von 16 auf 14 Jahre beziehungsweise von 18 auf 16 Jahre) zu vereinfachen. Es wird damit dem Gesetzgeber obliegen, die besonders schutzwürdigen Interessen von Minderjährigen mit den Sicherheitsinteressen des Landes in Einklang zu bringen.”.

Wir erfahren von der Landesdatenschutzbeauftragten, dass die Unterrichtungspflicht des Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes gestrichen werden sollte und zunächst keinerlei Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung an “Trägereinrichtungen der Ausstiegsarbeit im rechtsradikalen Milieu” eingeführt werden sollte.

Auch nach Änderungen noch erhebliche Mängel

Es scheint, dass nach dem ersten Gutachten der Landesdatenschutzbeauftragten einige datenschutzrechtliche Scharten ausgewetzt worden sind und der Geheimdienst in Gespräche mit Thiel getreten ist. Gleichwohl moniert die oberste Datenschützerin des Landes auch nach Änderungen des Entwurfs erhebliche Mängel.

So soll der niedersächsische Geheimdienst offenbar immer noch freigestellt werden von so lästigen Datenschutzsicherungsmaßnahmen wie

  • Datenschutzfolgeabschätzung
  • Anhörungspflicht der Datenschutzbehörde
  • Meldung von Datenschutzpannen an Aufsichtsbehörden
  • Benachrichtigung betroffener Personen

welche im Niedersächsischen Datenschutzgesetz eigentlich festgeschrieben sind.

Dies bestätigt wesentlich unsere ersten Befürchtungen nach dem Erscheinen der ersten Ankündigung. Die große Koalition zielt wiedereinmal auf den Ausbau der Überwachung zulasten der Grundrechte. Einer skandalgeschüttelten Behörde wie dem niedersächsischen Geheimdienst auch noch die letzten demokratischen Kontrollen streichen zu wollen, zeugt von einer verdrehten Sicht auf die Probleme im Land.

Nichts zu verbergen? Entwurf veröffentlichen!

Die Landesbeauftragte für den Datenschutz (und nicht für Informationsfreiheit) verdient für die kritische, zu wenig wertgeschätzte und materiell unterbesetzte Arbeit ihrer Behörde sicher viel Respekt und Dank. Ohne sie wären uns mehrere hochproblematische Details des Gesetzentwurfs weiter unbekannt. Aber ohne den vollständigen geplanten Gesetzestext kann keine seriöse öffentliche Diskussion erfolgen.

Es ist nun am Innenministerium endlich den Entwurf auf den Tisch zu legen und ihn der Öffentlichkeit nicht weiter vorzuenthalten. Was haben sie zu verbergen?

UPDATE 9.9.2020: Entwurf veröffentlicht

Der Entwurf des Gesetzes wurde nun veröffentlicht und kann unter https://www.landtag-niedersachsen.de/Drucksachen/Drucksachen%5F18%5F07500/07001-07500/18-07315.pdf heruntergeladen werden.

Eine Synopse ist vorhanden, wird aber nicht veröffentlicht, wie das freiheitsfoo nach mehrfacher Nachfrage beim Ministerium feststellen musste.

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